Mit dem XXL-ICE auf Testfahrt
Gepostet am 12. Mai 2021 • 12 Minuten • 2465 Wörter
Für das neue Reisendeninformationssystem von DB Fernverkehr darf ich den neuen XXL-ICE auf einer Testfahrt begleiten.
FIS, RIS, was ist das überhaupt? Und was muss getestet werden?
RIS steht für Reisendeninformationssystem, FIS für Fahrgastinformationssystem. Beides meint letztendlich dasselbe – darunter fällt so ziemlich alles, was dazu dient, den Reisenden über dessen Zugfahrt zu informieren. Am Prominentesten sind die großen Abfahrtstafeln in Bahnhöfen oder den Anzeigern am Bahnsteig, wie auf dem folgenden Bild in München. Aber auch die Zugzielanzeiger am und die Bildschirme im Zug gehören zum RIS.
In den letzten Monaten habe ich ein neues Design für die Displays in den ICEs für DB Fernverkehr wesentlich mitentwickelt, welches dieses Jahr auf die Fahrgäste losgelassen werden soll. Der erste Wurf einer Software ist jedoch selten das perfekte Endprodukt, dementsprechend gibt es davor ausgiebige Teststufen. Eine der letzten Teststufen ist eine 1-wöchige Testfahrt mit einem echten ICE, auf dem unsere Software installiert ist. Gegen Ende April dieses Jahres stand eine Testfahrt mit dem von DB Fernverkehr neu in Betrieb genommenen XXL-ICE 4, bei uns auch schlicht ICE 4 13-Teiler genannt an. Um genau zu sein, wurde der Tz (Triebzug) 9455 für uns auserkoren, denn er ist zum Zeitpunkt unseres Tests noch nicht im Fahrgastbetrieb.
Dabei sollte das neue Design auch auf dem Zug nochmal auf Herz und Nieren geprüft werden – aufgrund der Komplexität, die sich hinter der Reisendeninformation verbirgt, können manche Probleme erst auf einem echten Zug überhaupt auftreten. Der Charm einer solchen Testfahrt ist dafür, dass in der Regel Kollegen von allen beteiligten Komponenten auf dem Zug sind. Im Idealfall erleichtert das im Problemfall die Ursachenforschung, da so sehr leicht geschaut werden kann, welche Informationen anfangs eingegangen sind, und welche letztendlich bei uns ankommen. Spoiler: Das hat dieses Mal nicht so gut funktioniert. Mehr dazu gleich.
Montag – Standtest
Unser ICE steht in München, also heißt es erstmal dorthin kommen. Dafür mache ich mich mit ICE 527 auf in die Hauptstadt der Weißwürste.
In München angekommen, beginnt jedoch die Verwirrung. Der ICE ist in einem Abstellgelände, in dem ich mich nicht ohne Aufsicht befinden darf – also muss ich abgeholt werden. Dankenswerterweise wird mir ein Kartenausschnitt geschickt, auf dem die Route, die ich gehen soll, eingezeichnet ist. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Der Ausschnitt ist vom falschen Bahnhof gemacht worden. Eigentlich soll ich am Bahnhof Hirschgarten aussteigen, der Ausschnitt ist aber von Laim. So fahre ich also erstmal zu weit, nur um nach 20 Minuten an verwirrenden Telefonaten doch wieder eine Station zurückzufahren. Da ich einen Koffer den ganzen Irrweg hin- und zurück bugsieren darf, natürlich inklusive Treppen, ist das Workout für den Montag direkt gesichert.
Am Hirschgarten werde ich schlussendlich abgeholt und aufs Betriebsgelände begleitet. Keine Minute zu spät, denn unser ICE soll direkt noch ins Münchner Werk fahren, um einen der beiden Stromabnehmer für das deutsche Streckennetz zu reparieren. Währenddessen erzählen mir die Kollegen, was bisher passiert ist.
Im Werk wird der Zug stromlos geschaltet, damit auf dem Dach gearbeitet werden kann. Währenddessen läuft auf dem Zug natürlich gar nichts, weder Licht, noch Klimaanlage, noch das RIS, was wir ja eigentlich testen wollen. Aber zumindest können wir uns noch Internet von einem anderen ICE nebenan schnorren, der noch aufgerüstet ist.
Nach etwas über einer Stunde ist der Stromabnehmer repariert und der ICE wird wieder aufgerüstet. Dann kommt das böse Erwachen: Nach dem Neustart des Zuges funktioniert die Schnittstelle, von der wir sämtliche Daten vom und über den Zug bekommen, nicht mehr. Hierunter fallen einerseits Sensordaten wie GPS, Türfreigabe und Geschwindigkeit, andererseits auch zentrale Daten wie die aktuelle Zugnummer – diese wird vom Zugchef in einer anderen Komponente gesetzt, auf die wir keinen direkten Zugriff haben.
Normalerweise hat unser System eine Rückfallebene, durch die der Zugchef bzw. auch wir direkt in unserer Software eine Zugnummer eingeben und den Zug damit „taufen“ können. Im Entstehungsprozess unserer Software vor gut fünf Jahren wurde jedoch entschieden, dass besagte Schnittstelle immer Vorrang haben soll, solange sie verfügbar ist. Und wer hätte es gedacht: Die Schnittstelle ist zwar noch da, antwortet aber nur noch mit Müll. Dadurch sind wir erstmal handlungsunfähig.
Während der Suche nach der Ursache fährt unser Zug in den Münchner Hauptbahnhof, um dort noch einige Videoaufnahmen für das Projekt zu machen. Schlussendlich kann das Problem auf eine Komponente eingegrenzt werden, die die Sensordaten des Zuges sammelt und für uns aufbereitet. Daraufhin gibt es eine Vielzahl von Telefonaten, um zu klären, wann und wie das Problem in der Komponente gelöst werden kann. Das Ergebnis ist jedoch nicht befriedigend. Insbesondere will kein Entwickler der Komponente mit auf den Zug kommen, um das Problem direkt vor Ort begutachten und analysieren zu können. Entsprechend hoch ist also die Frustration.
Nach dem etwas längeren Aufenthalt am Münchner Hauptbahnhof fahren wir mit dem Zug zum Abstellgleis in München-Pasing. Auf dem Weg dorthin werden noch letzte Dinge geklärt, bspw. wann wir wo am nächsten Tag losfahren werden. Mit der S-Bahn geht es wieder zurück in die Münchner Innenstadt zum Hotel.
Dienstag – ein Mal quer durch Deutschland, bitte!
Die erste Nacht in einem Hotel schlafe ich stets absurd schlecht, und so bin ich auch an diesem Dienstag alles, nur nicht ausgeschlafen. Jammern hilft jedoch nicht, denn unser ICE fährt um 8 Uhr los und wartet im Zweifelsfall nicht auf uns. Also raffe ich mich auf und mache mich startklar für den Tag. Nach dem Auschecken treffe ich meine Kollegen aus unserem Projekt, mit denen ich unterwegs bin. Zusammen kaufen wir noch etwas Verpflegung für den heutigen Tag ein. Anschließend fahren wir mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof, der ICE bereits auf uns wartet.
Da wir keine reguläre Fahrt sind, gibt es im RIS noch keinen Fahrplan für uns. Den legt ein Kollege für uns an, während sich der Zug schon mal Richtung Nürnberg in Bewegung setzt. An unserem ersten Halt in Ingolstadt wecken wir direkt Begehrlichkeiten und müssen Fahrgäste davon abhalten, bei uns einzusteigen – die dürfen wir auf dieser Fahrt leider nicht mitnehmen. Nebenbei bemerken wir, dass IRIS+, das neue System für alle Anzeiger und Ansagen an den Bahnhöfen, auch mit besonderen Zügen wir uns umgehen kann.
Während wir die Fahrt in Richtung Erfurt über die Schnellfahrstrecke fortsetzen, wird die Problemsuche in der kaputten Schnittstelle zu den Sensoren fortgesetzt. Jedoch ist alles, was wir machen können, die Entwickler anzurufen und sie zu bitten, sich das Problem anzusehen. Sie wollen das Problem in einem Testlabor nachstellen, was bei uns auf großes Unverständnis stößt. Schließlich sind wir doch gerade im echten Zug unterwegs, und es wäre ein Leichtes, etwa in Frankfurt zuzusteigen und das Problem live und in Farbe zu sehen.
Da die Diskussion hier nicht zielführend zu sein scheint und bereits eskaliert wird, fahren wir unser restliches Testprogramm bestmöglich weiter. So schauen wir uns an, dass das System auch in verschiedensten Situationen korrekt funktioniert, etwa wenn ein Halt ausfällt oder ein zusätzlicher Halt angefahren wird.
In Erfurt werfen wir einen kurzen Blick auf die Zugzielanzeigen außen an den Türen, bevor der Zug nach Leipzig weiterfährt. Von dort aus geht es für uns weiter nach Magdeburg, Braunschweig und Lehrte nach Hannover. Ab dort wird unser Zug sehr beliebt, da wir direkt vor der regulären ICE-Verbindung zwischen Berlin und Köln herfahren, und es für die Fahrgäste an den Bahnhöfen so wirken kann, als wären wir besagter regulärer ICE. So kommt es, dass wir des Öfteren Fahrgäste davon abhalten müssen, bei uns einzusteigen.
Um 19:10 Uhr, vergleichsweise früh für unsere Testfahrten, kommen wir an unserem heutigen Endhalt, Köln Hbf, an. Viel nützt uns das nicht, denn Freizeitaktivitäten sind dank Corona weiterhin stark eingeschränkt. So holen wir uns nach dem Einchecken im Hotel bei Freddy Schilling um die Ecke vegane Burger mit Pommes zum Mitnehmen, die ich übrigens wärmstens weiterempfehlen kann.
Mittwoch – Sali zäme
In Köln geht es für uns um 08:27 Uhr los. Unsere Lieblingsschnittstelle funktioniert heute gar nicht mehr. Das ist jedoch gut für uns, da wir so direkt in unserer Software taufen können. Der fade Beigeschmack ist, dass wir eben keinerlei Sensordaten erhalten und damit nicht wissen, wo unser Zug sich gerade befindet.
Zuallererst grasen wir alle Flughafenbahnhöfe zwischen Köln und Frankfurt ab – Köln/Bonn, Frankfurt Regional, und Frankfurt Fern. Bevor wir zum Fernbahnhof vom Frankfurter Flughafen fahren, machen wir einen kurzen Abstecher zum Frankfurter Hauptbahnhof und wenden dort. Auf dem Weg zurück werden wir am Stadion kurzerhand noch von einem regulären ICE überholt, bevor wir in den Fernbahnhof einfahren. Dort wenden wir erneut, denn die Reise geht weiter gen Süden.
Über Mannheim, Karlsruhe und Freiburg im Breisgau nähern wir uns immer mehr dem Highlight unserer Testfahrt, der Schweizer Grenze. Normalerweise finden unsere Testfahrten ausschließlich innerhalb Deutschlands statt. Der 13-Teiler fährt jedoch auch zukünftig in der Schweiz, und so kommen auch wir in den Genuss, Schweizer Bahnluft zu schnuppern.
Kurz nach dem Überschreiten der Staatsgrenze zur Schweiz machen wir für eine Stunde Halt im Badischen Bahnhof in Basel. Das Schweizer Eisenbahnnetz ist für seine Pünktlichkeit bekannt, entsprechend stark werden verspätete Züge in deren Netz bestraft oder gar nicht erst in Netz hineingelassen. Damit uns dieses Schicksal nicht trifft, hätten wir in Deutschland warum auch immer Verspätung aufgesammelt, ist der lange Halt im Badischen Bahnhof geplant. Das gibt mir aber auch die Gelegenheit, den Bahnbetrieb hier für eine Weile zu beobachten. So stattet uns der Europa-ICE auf seiner Fahrt nach Basel SBB am Gleis gegenüber einen Besuch ab. Ebenfalls sammeln wir hier einen Schweizer Lokführer auf, der unsere eigenen Lokführer durch das Schweizer Eisenbahnnetz lotst.
Weiter geht es also zum Bahnhof Basel SBB, wo wir erneut einen kurzen Aufenthalt haben. Von dort aus fahren wir zu einer der großen Ziele, die auch regulär von ICEs angefahren wird und wo ich eigentlich gerne privat hinfahren würde: Interlaken Ost. Die Route führt uns durch Olten, an Bern vorbei nach Thun zum Thunersee. An unseren Halten müssen wir, wie bereits gestern, Fahrgäste davon abhalten, bei uns einzusteigen. Während der Fahrt haben wir Zeit, die wunderschöne Schweizer Landschaft zu bewundern und auch zu fotografieren. In Interlaken fahren wir auf ein Rangiergleis und machen eine Stunde Pause. Auf dem Weg hierher habe ich bereits einige kritische Bugs behoben, die ich während dieser Pause auf dem Zug einspiele.
Nach der Pause setzen wir uns wieder in Bewegung, um zu unserem heutigen Endhalt und unserer Unterkunft in Langenthal zu fahren. Auf dem Weg dahin werden wir jedoch alle paar Minuten auf Ausweichgleise geleitet, um regulären Eisenbahnverkehr vorbeizulassen – wir sind ja doch nur eine Testfahrt. Außerdem fangen wir an, das Reservierungssystem zu testen. Bisher war es uns nicht möglich, reproduzierbar und zuverlässig den gesamten Weg, den eine Reservierung auf sich nimmt, um letztendlich auf einem Display zu landen, zu testen. Doch heute gelingt uns das endlich, und so ist es uns möglich, Reservierungen in das zentrale System an Land einzuspielen und sie auf den Displays an den Sitzen sehen zu können.
Gegen 23 Uhr kommen wir schlussendlich in unserem Hotel an, und legen uns zügig ins Bett.
Donnerstag – ein ICE buchst aus
In der Schweiz zu sein und aufzuwachen, ist für mich ein wahnsinnig tolles Gefühl. Die gesamte Landschaft wirkt bunter, farbiger, schöner, ebenso wie die süßen Gemeinden und deren Häuser. Nach einem ausgiebigen Frühstück und dem Einkauf von Verpflegung im lokalen Migros geht es zum Langenthaler Bahnhof, um auf unseren Zug zu warten.
Etwa um 10:30 Uhr kommt unser Zug an. Mit ihm fahren wir nun los über Olten und Aarau in Richtung der nächsten Stadt, die ich eigentlich gerne mal privat besuchen würde: Zürich. Am HB bleibt nur begrenzt Zeit, da wir lediglich wenden und unsere Fahrt direkt danach wieder fortsetzen. Für ein Foto von unserem ICE, neben einem Fernverkehrs-Doppelstockzug der SBB, reicht es dennoch.
Weiter geht es entlang des malerischen Zürichsees und der umliegenden Landschaft Richtung Osten. Zwischendurch halten wir in Pfäffikon SZ, um einen regulären InterCity vorbeizulassen. Vorbei an Obersee und Walensee, durch Sargans und Landquart, führt uns die heutige Fahrt zum zweiten großen Ziel der ICEs: Chur.
In Chur haben wir etwas mehr als eine Stunde um uns die Stadt anzusehen und unsere Beine zu vertreten – nicht, dass wir Letzteres im Zug nicht eh schon machen würden, wenn bspw. alle Displays im gesamten Zug geprüft werden müssen.
Wir gehen die Fußgängerzone entlang, holen uns etwas zu essen, finden das denkmalgeschütze, äußerlich sehr schöne Verwaltungsgebäude der Rhätischen Bahn, machen einen kurzen Abstecher auf einen der Hügel und können dadurch die Aussicht genießen. Auf dem Rückweg schauen wir uns die kleinen Gassen an, die Chur so bietet, und ich besorge einige Postkarten, um sie an Freund:innen zu verschicken.
Danach bewegen wir uns wieder zum Bahnhof und unserem Zug. Mit ihm fahren wir wieder zurück bis Sargans. Ab dort folgen wir dem Rhein, und damit der Schweizer Grenze zu Liechtenstein und Österreich. In Buchs SG haben wir wieder einen etwas längeren Aufenthalt. Währenddessen wundert sich die Bahn-Bubble unter meinen Twitter-Posts, was denn ein ICE 4 in Buchs und Konstanz zu suchen hat.
Anschließend fahren wir bis nach St. Margrethen SG, und von dort weiter am Südufer des Bodensees entlang bis nach Konstanz, wo wir wieder deutschen Boden unter unseren Achsen haben. Die Gäubahn führt uns letztendlich zu unserem Ziel für heute, dem Stuttgarter Hauptbahnhof. Auf dem Weg testen wir für den Fernverkehr noch einige Sonderfälle in unserem RIS und deren Darstellung auf den Monitoren.
Freitag – Hoch die Hände, Wochenende
Freitag. Endlich mal halbwegs entspannt aufstehen. Just kidding – ich will gegen Mittag daheim ankommen, also stehe ich gegen 7 Uhr auf. Also setze ich mich mit einem meiner Kollegen in ICE 770 und fahre bis nach Frankfurt. Währenddessen lassen wir die Testfahrt Revue passieren und besprechen noch einige Bugs nach, während wir die Kollegen, die noch mit dem Zug heute weiterfahren, aus der Ferne unterstützen.
In Frankfurt habe ich eine Stunde Aufenthalt, die ich damit verbringe, dem Treiben am Hauptbahnhof zuzusehen. Schlussendlich bringt mich ICE 623 fünf Minuten verzögert nach Aschaffenburg.
Wie geht es von hier aus weiter?
Einige Fehler sind während der Testfahrt aufgefallen, die noch behoben wurden/werden. Danach startet der Probebetrieb mit dem neuen Design – die ICE 4 13-Teiler bekommen es zusammen mit einigen redesignten ICE 3 als Erstes.
Tz 9455, also der Zug, mit dem wir auf Testfahrt waren, ist sogar heute schon, am 12. Mai 2021, das erste Mal mit Fahrgästen unterwegs. Er fährt als ICE 599 von Berlin über Leipzig, Erfurt, Frankfurt, Mannheim, Stuttgart und Augsburg nach München.